Thema: Uno und Nato
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Alt 20-01-2003, 20:24
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Kein Völkermord

Erhärtet wurde diese Lageanalyse des Auswärtigen Amtes vom 19. März 1999 durch den vertraulichen Lagebericht der Nachrichtenoffiziere des Verteidigungsministeriums vom "23. März, 15.00 Uhr". In diesem Bericht, erstellt einen halben Tag vor Kriegsbeginn, heißt es ausdrücklich: "Das Anlaufen einer koordinierten Großoffensive der serbisch-jugoslawischen Kräfte gegen die UCK im Kosovo kann bislang nicht bestätigt werden." Zu einer großangelegten Operation gegen die UCK im gesamten Kosovo seien die serbisch-jugoslawischen Kräfte nicht fähig. Schon damals formulierten die Nachrichten-offiziere eine Aussage, die sich beute auch im Generalbericht der Nato-Parlamentarier findet: "Die UCK ihrerseits wird wahrscheinlich weiter versuchen, durch die bekannten Hit-And-Run-Aktionen die serbisch-jugoslawischen Kräfte zu massiven Reaktionen zu provozieren in der Hoffnung, daß diese in ihren Ergebnissen hinsichtlich Zerstörungen und Flüchtlingen ein Ausmaß annehmen, das sofortige Luftschläge der NATO herauf-beschwört."

Wer diese Berichte erstmals liest, ist höchst erstaunt. Zum Beispiel über die Information, daß die Albaner von den serbischen Streitkräften vorab gewarnt wurden und dann auch wieder in ihre Dörfer zu-rückkehren konnten. Diese Information paßt so gar nicht in das Bild des seinerzeit Gehörten. Man ist ferner überrascht darüber, daß von Flucht, Vertreibung und Zerstörung im Kosovo alle dort lebenden Bevölkerungs-gruppen gleichermaßen betroffen gewesen sein sollen ? ist die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik doch stets davon ausgegangen, die Leidtragenden und Opfer seien zuallererst die Albaner. Mit Bestürzung liest man auch, daß lokale UCK-Kommandeure die Evakuierung der Zivilbevölkerung unterbunden" haben. Man fragt sich: Warum wurde der Öffentlichkeit dies alles bislang vorenthalten? Und schließlich fällt auf, daß das soeben Gelesene doch wohl eher die Lagebeschreibung eines Bürgerkrieges oder eines bürgerkriegs-ähnlichen Geschehens ist als ein Bericht, der es rechtfertigte, von Völkermord, Auschwitz, Konzentrationslagern, ethnischer Säuberung und systema-tischer Vertreibung zu sprechen.

Das Bild vom Kosovo-Konflikt ist vor allem durch die jugoslawische Unter-drückungspolitik seit 1989, durch die Manipulationen des Westen vor und während des Nato-Krieges sowie durch die Verbrechen an den Kosovo-Albanern nach dem Beginn der Nato-Luftangriffe im März 1999 geprägt.

Durch die Manipulation der öffentlichen Meinung vor und während des Nato-Bombardements erscheint die Entwicklung gemeinhin als Abfolge einseitig von der jugoslawischen Seite ausgehender Gewalt und verbrecherischer Handlungen, die geradezu zwangsläufig zum Eingreifen der Nato führen mußten, damit noch Schlim-meres verhindert werde. Ganz so klar lagen die Dinge indes nicht. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Zeiten, in denen es Chancen zur Verständigung gegeben hätte. Sie wurden jedoch nicht genutzt. Das gilt insbesondere für den Herbst 1998.

Diese Überlegungen sollen nicht darauf hinauslaufen, die Verbrechen der Serben an den Kosovo-Albanern in der Zeit vor dem Holbrooke-Milosevic-Abkommen vom Oktober 1998 und nach dem Beginn der Nato-Luftangriffe am 24. März 1999 zu verharmlosen oder zu entschuldigen. Der Punkt ist vielmehr dieser: Wenn die internationale Staaten-gemeinschaft, internationale Organisationen oder einzelne Staaten bereit sind, mit vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsbrechern Verträge und Vereinbarungen zu schließen ? das Dayton-Abkommen oder das Hoolbroke-Milosevic-Abkommen sind ebenso Beispiele dafür wie die entsprechenden Vereinbarungen mit Saddam Hussein ? , so sind danach alle Vertragspartner gleichermaßen verpflichtet, die Vereinbarungen auch einzuhalten.

Die einseitige Parteinahme zu Lasten eines Vertragspartners oder dessen Bevölkerung unter Verweis auf das Geschehen in der Zeit davor ist nach Abschluß der Vereinbarung jedenfalls nicht mehr erlaubt ? weder politisch noch rechtlich und schon gar nicht moralisch. Die Nato aber hat sich im Kosovo-Konflikt sehenden Auges zum Instrument der UCK machen lassen. Aus der Perspektive der Charta der Vereinten Nationen war es ein Völkerrechtsbruch mit unabsehbaren Folgen für die künftige Entwicklung der internationalen Ordnung. Aus der Sicht des Grundgesetzes war es ein verfassungs-widriger Angriffskrieg mit verheerenden Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit von Politik.


DIETER S. LUTZ, Kritiker des Nato-Einsatzes im Kosovo schon während des Krieges, ist Direktor des Instituts für Friedensforschung an der Universität Hamburg
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Also sowelche Politiker sollte man ihr Amt abnehmen!
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