Teil 2.
"Um seine Schultern hat Tim eine regenbogenfarbene Fahne geschlungen, auf der steht "Pace"; es gibt auch ein Foto, auf dem Naomi Campell ein T-Shirt mit diesen Farben und diesem Aufdruck trägt - ein seltsames Paar, das Model und der Pickelige. Der Kriegsprotest des Papstes hat eine eigentümliche Popularität bekommen, und Michael Moore wußte schon, warum er nicht nur die Countryband "Dixie Chicks" als Kriegsgegner erwähnte bei seiner Oscar-Rede, sondern eben auch den Papst. Denn Moore ist nicht nur ein guter Dokumentarfilmer, sondern auch ein talentierter Populist. Und was einer wie Tim über Amerika weiß, das hat er in Moores Film "Bowling for Columbine" und in Moores Bestseller "Stupid White Men" gelernt.
"Was ist denn Amerika für ein Land?"
"Ein ziemlich ignorantes."
Pause. Tim und Vinzent und Katherina haben viel erzählt von den Schülern, die trotz des Lehrerverbots auf die Demonstration gegangen sind, von "den Linken", mit denen sie auch sich selbst meinten, von der Heinrich-Hertz-Oberschule in Berlin-Friedrichshain - jetzt sagen sie kurz nichts, mehr gibt es dazu für sie nicht zu sagen. Tim streicht sich die Haare glatt, Vinzent hält sich an seinem grünen Pons-Wörterbuch fest, Katherina trägt ihre Haare hellrot gefärbt; nach dem 11. September hat sie sich erst einmal den Koran gekauft, "ich wollte mal wissen, ob das wirklich so böse ist". Sie sind ganz normale Gymnasiasten, die Sätze sagen wie: "Man kann Leiden nicht durch Leiden beenden" - am 11. September zerbrach ihr Spiegel, formte sich ihre Welt. "Es ist doch recht klar", sagt Katherina kühl, "daß da die CIA dahinter steckt und nicht Al Qaida."
"Ach ja?"
"Ja, das ist doch im Internet alles zu finden." Für Amerika sind die drei wohl verloren. Ihr Leben und Denken werden beeinflußt von den Informationen, die das Internet liefert, auch den Verschwörungstheorien und Untergangsszenarien; ihr Weltverbesserertum ist undogmatisch: "Wir machen uns ja unsere Welt selbst."
"Habt ihr Angst?"
"Vor einem dritten Weltkrieg."
"Hast du Angst, Teresa?"
Teresa macht zum ersten Mal eine längere Pause. Sie geht in die neunte Klasse, sitzt in der weiten Altbauwohnung im Westen von Berlin und hat vorher gesagt, daß die Demonstration schon cool war, "weil da so viele Leute waren, die alle dasselbe wollten". Sie stützt die Ellenbogen auf den Tisch und weiß nicht recht, ob sie Angst hat oder wovor. "Bei Krieg und Terror denke ich immer, das muß doch nicht sein, das ist doch hirnrissig - unschuldige Menschen zu töten, das muß jetzt echt nicht sein." Sie würde gern mehr wissen, mehr verstehen, sie schaut jetzt um acht auf die Uhr und sagt, oh, Tagesschau. Dieser Protest ist ihr Protest. "Wir sagen in der Schule ja nicht, meine Eltern meinen, meine Eltern sagen, sondern", da spitzt sie die Lippen und schaut sehr selbstbewußt aus, "sondern: was denke ich, was meine ich."
"Worum geht es denn in diesem Krieg?"
"Öl?" fragt Laura vorsichtig.
"Und was ist dein Bild von Amerika?"
"Ich weiß nur, wie ich mich fühlen würde, wenn ich in Amerika wäre", sagt sie. "Ich würde mich schämen."
Draußen schwebt immer noch der metallene Vogel über Berlin. Einer der schweren Hubschrauber, deren Geknatter jetzt zum Soundtrack dieser Generation gehört, die die Schuld nicht kennt und so die Unschuld sucht. V steht für Victory.
GEORG DIEZ"
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"Nun sitze ich hier...tieftraurig, einsam und alleine
Das Leben vor mir, ein nächster Schritt und es ist vorbei
Verzweifelt stehe ich da, am Abgrund tief getroffen
Missverstanden, das Herz gebrochen
Ein Schuss, ein Sprung, ein letzter Schlaf
Der Wille zum Weiterleben nicht mehr da
Am Tor des Glaubens, nun angekommen
Von den Qualen befreit und das Leben genommen
"
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