Viva Viagra!
Amerika steht vor einer neuen sexuellen Revolution. Und wieder ist eine Pille schuld. Viagra, ein Potenzmittel für Männer, wird das Sexleben radikal verändern. So jedenfalls prophezeien die Wissenschaftler und Kolumnisten. Die Einführung von Viagra sei "so monumental wie die Antibabypille", weiß der Playboy. "Billiger Kraftstoff, starke Wirtschaft, Erektionspillen - welch ein Land, welch tolle Zeit, am Leben zu sein.", polemisiert Time. Und Ärzte wie Fernando Borges vom Impotenz-Center in Florida jubilieren: "Wir haben die Wunderwaffe gefunden."
Solche Prognosen scheinen zwar noch verfrüht. Doch steht fest: Viagra ist ein Bombengeschäft. Die Pillen entpuppen sich als schnellst- und bestverkaufteste Droge der US. Geschichte. Ärzte schreiben Rezepte wie am Fließband, mehr als 10 000 pro Tag. Die Pharmaindustrie reibt sich die Hände. Nach neusten Schätzungen des National Health Institut leiden 30 Millionen Männer an Impotenz. Ist die USA also eine Nation von Schlappschwänzen? Waren John Wayne und der Terminator, Apocalypse Now und Desert Storm nur Vertuschungsmanöver?
Die Ursache für die Sexkrise ist auch schon ausgemacht. "Der Feminismus hat den Mann entmaskulinisiert und das führt zu psychischen Problemen", sagt Penthouse-Herausgeber Bob Guccione, "die Pille wird die männliche Libido befreien!. Natürlich, die Frauen sind schuld. Doch alles wird gut. Schnell eine Tablette geschluckt, Selbstbewusstsein gestärkt, Penis steif. That's Amerika, das Land der Quick-Fix-Philosophie. Dank Viagra braucht sich der amerikanische Mann nun nicht mehr länger den Kopf über tiefere Ursachen seiner Impotenz zu zerbrechen. Bloß keine Therapiesitzungen über Leistungsdruck und Versagensängste mehr. das macht nur depressiv. Dagegen hilft Prozac. Doch das macht impotent...
Die Männer bräuchten die Pille zur Stärkung ihres angeschlagenen Egos, meint auch Postfeministin Camille Paglia: "Die Erektion ist der letzte Strohalm moderner Männlichkeit." Damit der Mann im Sog der Feminismus nicht völlig untergeht, hat selbst der Papst der Potenzpille seinen Segen gegeben. Ganz anders seinerzeit der Antibabypille der Schlüsseldroge zur sexuellen Befreiung der Frau, die er bis heute als Teufelszeug verdammt. Noch weiß man nichts über die Langzeitwirkung von Viagra. Anhänger der Wunderpille versprechen wilden Sex im Altersheim und Koitus-Power in allen Lebenslagen. Manche Frauen befürchten dagegen, dass sie schon bald nicht mehr unterscheiden können, ob es wirklich ihre Person ist, die den Mann anturnt, oder nur die Pille. US-Krankenkassen diskutieren unterdessen, wieviel Sex gut für die Amerikaner ist, d.h. wie viele Viagras sie einem potenzschwachen Mann zugestehen wollen. Von 4-6 Tabletten, sprich 4-6 möglichen Erektionen, pro Monat ist da die Rede. Viel zu wenig, protestieren die Patienten, die mit 10 Dollar pro Dosis für zusätzliche Orgasmen tief in die Tasche greifen müssten. Und offenbar ist nicht jeder Viagra Trip ein reines Vergnügen. Nebenwirkungen reichen von Kopfschmerz über Hitzewallungen und Sehstörungen bis zu Bauchkrämpfen und Übelkeit. Klingt fast wie Menstruationsbeschwerden.
Vielleicht ist der ganze Viagra-Hype, wie so viele US-Trends, auch übermorgen wieder verflogen. In Chicago jedenfalls beklagte sich ein Ehepaar nach dem Test der Wunderdroge enttäuscht beim Doktor. Sie hätten die Anleitung genau befolgt, erklärten sie. Der Mann habe die Pille genommen, dann hätten sie sich ins Bett gelegt und voller Spannung gewartet, was passiert. Darüber seien sie eingeschlafen.
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