Thema: nordkorea
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Alt 24-11-2003, 18:47
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Overlord

 
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Es handelt sich hierbei um einen Leserbrief in der Truppendienst-Ausgabe Nr. 271 (4/2003) von Thomas Novohradsky, Direktor des New National Theater, Tokio

Zitat:
Ein anderes Denken
(Brigadier i.R. Prof. Dr. Horst Mäder, Aktuelles Weltgeschehen, TD 2/2003)

Auf dem RÜckflug von Arbeitsgesprächen in Europa nach Tokio hatte ich Zeit die Lageeinschätzung von Dr. Mäder bezüglich Nordkorea in Ruhe zu studieren. Aus der Sicht eines Europäers muß ich der Analyse von Dr. Mäder zustimmen. Betrachtet man aber die Situation aus der asiatischen Sicht, so ergeben sich einige andere Aspekte, die in unserer europäischen Gedankenwelt keinen Platz haben.

In vielen Fällen ist das analoge, analytische Denken hier in Asien nicht anzuwenden. Zu sehr ist das Denken in komplett anderen Mustern verhaftet. Die Devise "Ein Ziel - ein Weg - eine Entscheidung" wird hier in den wenigsten Fällen angewendet. Man versucht vielmehr, ein Ziel "einzukreisen", indem man sich und alle anderen von der politischen Richtigkeit überzeugt, dass es "eben so sein muss". Hat man einen Konsens gefunden, gibt es nichts mehr, was Änderungen oder Verschiebungen durchsetzen kann. Nun bewegt sich alles auf das Ziel zu, ob die Sonne scheint oder ob es regnet. Das Kollektiv bewegt sich dann - es hat eine Eigendynamik bekommen. Ein einzelner kann es nicht mehr aufhalten.

Selbst herausragende Führungspersönlichkeiten in Asien waren und sind deshalb oft garnicht in der Lage, selbstständige Führungsentscheidungen zu setzen bzw. durchzusetzen. Ihre Umgebung lenkt und denkt für sie. Der Mann an der Spitze repräsentiert, vermittelt und inspiriert vielleicht, aber das Kollektiv handelt. Führungspersönlichkeiten in Asien bleibt also nur wenig Spielraum. Auch sind sie meist mehr mit dem eigenen "Überleben" beschäftigt, als mit weit reichenden Führungsmaßnahmen.

Bei Nordkorea kommt noch hinzu, dass dieses Land seit Jahrzehnten vollkommen isoliert ist. Es gibt kein Wissen um Entwicklungen im Rest der Welt, nicht für das Volk und auch nicht für weite Teile der Führung! Man lebt in einer Welt, in der die eit stehen geblieben ist. Ja, man findet sich im "Rest der Welt" auch garnicht zurecht. Überall werden Tricks vermutet, um das eigene denken zu täuschen. Vor nicht allzu langer Zeit besuchten nordkoreanische Beamte Seoul. Nach ihrer Rückkehr beklagten sie sich, dass man ihnen eine Show des Wohlstandes vorgeführt hätte. Niemand konnte sich vorstellen, dass auch nur das Geld für das Benzin all der Autos, die sie in Seoul gesehen hatten, überhaupt aufbringbar wäre. Nordkorea beschwerte sich daraufhin bei Südkorea über diesen "Propagandatrick". (Südkorea soll angeblich darauf geantwortet haben, dass es nicht schwer gewesen wäre die Autos für den Besuch zu leihen, die größten Schwierigkeiten hätte man hingegen mit der raschen Herstellung all der Hochhäuser und Schnellstraßen gehabt.)

Die größte Gefahr bei Nordkorea liegt in dem Bild, das man dort vom Rest der Welt hat: Eine abgeschlossene Gesellschaft kann und will andere Realitäten nicht einschätzen. Für Nordkorea gibt es nur eine Welt voller Gegner. Das Land ist komplett isoliert. Noch extremer als Japan in den dreißiger Jahren. Und schon damals führte eine falsche Einschätzung der Realitäten zur Katastrophe.

Die geopolitische Lage Nordkoreas macht die Sache noch delikater. Hier - auf kleinstem Raum - stoßen Interessen aller Weltmächte außer Europa zusammen. Der präventive Handlungsspielraum ist für alle Beteiligten äußerst gering. Keiner kann etwas tun, ohne die Interessen der anderen in diesem Raum zu verletzen. Nur für Nordkorea gilt noch "das Gesetz des Handelns". Die nordkoreanische Regierung nutzt die Pattstellung der anderen und erhält so ihre scheinbare Stärke.

Über das militärische Ergebnis im Falle eines nordkoreanischen Angriffs gibt es keine Zweifel. Lediglich der Preis dafür ist für alle Beteiligten unendlich hoch. Im Prinzip zu hoch. Keiner kann und will sich einen Krieg leisten, außer vielleicht Nordkorea, das in seiner Welt lebt und handelt.
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We have killed, and will kill again to defend our destiny. We believe the ends will justify the means.

Sie schreien nach uns um Hilfe, wenn ihnen das Wasser in das Maul rinnt,
und wünschen uns vom Hals, kaum als einen Augenblick dasselbige verschwunden.

- Prinz Eugen von Savoyen, 1704
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